Der grosse Wagen

Mittlerweile ein zeitgeschichtliches Dokument aus dem vorletzten Jahr der deutschen Teilung: Am Ende meines Innenarchitekturstudium startete ich – auf der Suche nach dem Wesen des Raumes – zu einer Reise längs des Breitengrades, auf dem die Fachhochschule Hannover lag: N52° 23,5’ (Heute FB Architektur der Uni Hannover). Der Breitengrad hat eine Länge von gut 24000 km. Dem entspricht eine (Dreh-)Geschwindigkeit von 1000 km/h. Anfang und Endpunkt meiner Reise sind gut 600 km voneinander entfernt. Die Show muss demnach 36 min dauern, um der Erdrotation zu entsprechen…
Meine Fundstücke zeigte ich anlässlich meiner Diplompräsentation in einer Installation am 7.7.88 um 22 Uhr in Hannover Herrenhausen:
Ein anwesender Schaustellerwagen als Beispiel eines reisenden Raumes auf diesem Breitengrad .
36 Räume mit Affinitäten zum Thema Zeit erscheinen nebenan auf einen Raum aus Stoff unter dem Sternbild des „grossen Wagen“.
36 eigens komponierte Minutenmusiken von „Dhwani“ Wilfried Michael Zapp geben den illustrierenden Takt für eine Reise von A wie Ost-Berlin bis Z wie Zandvoort.

Denkmodell:
Wir erfahren Räume als Umhüllung, die wir nahe liegender weise vor allem durch ihre Grenzen beschreiben. Die Wände kennzeichnen unseren Bewegungsspielraum, die Decke kennt man nur vom Sehen und der Fußboden verdeckt mehr oder weniger den Abgrund der Erdanziehung.
Die Naturwissenschaft versucht die Grenzen zu sprengen. Die Spezialisierung der Technik als Manifestation naturwissenschaftlicher Erkenntnisse verdeutlicht uns jedoch, dass immer nur neue Teil-Räume entstehen.
So stehen wir nicht nur vor unserer Begrenztheit, sondern auch vor der Wahl: Welche?
Das Streben nach Einheit spiegelt sich in spirituell-religiösen Weltanschauungen, dem exzessiven Gebrauch jeglicher Drogen, aber auch im Versuch, die persönliche Umwelt so schön zu gestalten, dass man dort die freiwillige Begrenzung des Genießens erfährt. Dem Umgang mit Ewigkeit im Religiösen steht beim Genuss das pointierte Erleben des Augenblicks gegenüber. Beide Zeitbegriffe haben keine Richtung. Die Konzentration auf den Augenblick fördert ein Leben in Bildern, da hier Gleichzeitigkeiten möglich scheinen. Im Wohnbereich ist dann der Fernseher das rechteckige Abbild von der großen weiten Welt, im Prinzip abschaltbar. Im Außenbereich vermitteln Verkehrsmittel, allen voran das Auto, die Illusion vom Erleben und Beherrschen großer Räume. Deshalb der große Wagen mit Fernseher als Möglichkeiten gegenüber der Inneneinrichtung als „Tatsache“.
Als eigentlich willkürliche Auswahl, jedoch naturwissenschaftlich fundiert durch den Breitengrad der FH 52° 23,5’ tauchen 36 Räume aus dem Meer der Möglichkeiten auf:

Mit einem Klick auf die Karte können die einzelnen Stationen geografisch ausgewählt werden – oder darunter anhand der Vorschaubilder.
In einem Durchlauf mit der Originallänge von 36 Minuten kann man die ganze Reise ( in geringerer Qualität ) HIER SEHEN